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Als schwarzes Kind weißer Eltern geboren
Sandra Laing wurde 1955 als schwarzes Kind weißer Eltern
geboren – inmitten der südafrikanischen Apartheid. Über Generationen
hatte das genetische Material geschlummert. Ihre Eltern waren Verfechter
der Apartheid-Politik. Sie wurde verstoßen, als sie sich in einen
Schwarzen verliebte.
Von Christian Putsch
Still sitzt sie da, die ganze Fahrt schon. In der Hand ein
paar Blumen für das Grab des Vaters. Der Blick hinaus aus dem
Autofenster gerichtet – aber an den von Mauern abgeschirmten Wohnanlagen
und Leuchtreklamen bleibt er nicht hängen.
Bilder des modernen Südafrikas, das der
Fußball-Weltmeisterschaft 2010 entgegen lebt, so weit entfernt von den
Zeiten der Apartheid. Sandra Laing wirkt in dieser Welt seltsam
entrückt, sie ist ihrer Vergangenheit bis heute nicht entkommen. Bis es
so weit ist, wird ein Teil von ihr dort bleiben.
Seit dem 30. September 1988 ist ihr Vater nun tot. Erst zum
vierten Mal fährt sie die 70 Kilometer von Johannesburg nach Pretoria
zum Grab jenes Mannes, der sie geliebt hat, trotz ihrer Hautfarbe. Und
der sie, so fürchtet Sandra, auch gehasst hat. Wegen ihrer Hautfarbe.
Abraham Laing war ein überzeugter Verfechter der Apartheid-Politik, er
und seine Frau Sannie waren engagierte, ja erzkonservative Mitglieder
der rassistischen Nationalist Party.
Die Vorfahren waren weiß wie das Paar, natürlich, auch ihr erster Sohn Leon.
Doch die Hautfarbe von Sandra, die 1955 als zweites Kind
geboren wurde, war schwarz – sie erbte die Hautfarbe eines unbekannten
Vorfahrens. Über Generationen hatte das genetische Material geschlummert
und sich schließlich seinen Weg gebahnt. Nach den Mendelschen Regeln,
lehrt die Wissenschaft, ist so etwas äußerst unwahrscheinlich. Aber
möglich. Und nur wenige Menschen bekamen den Irrsinn der Apartheid
härter zu spüren als diese Frau, deren Blick scheu geworden ist. Die
Nachwirkungen halten bis heute an – in einem Land, in dem trotz aller
Erfolgsgeschichten Schwarz und Weiß vielerorts nach wie vor separiert
voneinander leben.
Sandra Laing steigt aus dem Auto. Ein Donnerstagvormittag,
einsam liegt der Heatherdale Friedhof am Stadtrand Pretorias. Stille,
fast. Sanft bahnt sich der Wind seinen Weg zwischen den engen Gräbern,
ein paar Blätter in den Bäumen rascheln. Laing geht die Reihen entlang,
langsam, schwerfällig, als habe sich die Last der anstehenden Begegnung
auf sie gelegt.
Ihr Vater hatte stur für sein striktes Weltbild gekämpft. Er
habe sie immer "sein kleines weißes Mädchen" genannt, hatte Laing
erzählt. Irgendwo im Niemandsland der östlichen Transvaal, nahe
Swasiland, betrieben die Laings einen Gemischtwarenladen. Wütend
beobachtete das Familienoberhaupt, wie die Tochter nur mit schwarzen
Kindern spielte. Die Mutter versuchte, Sandras krause Haare zu glätten.
In der Schule war sie das einzige schwarze Kind. Und Sandra spürte den
Wunsch der Eltern. Einmal musste sie mit schweren Verbrennungen am Arm
ärztlich behandelt werden. Das Mädchen hatte sich Bleichmittel auf die
Haut geträufelt.
Als sie, gerade zehn Jahre alt, von zwei Polizisten in der
Schule abgeholt wurde, hatte Laing keine Ahnung, was sie falsch gemacht
hatte. Sie dachte, es läge vielleicht daran, dass sie sich mit
Mitschülerinnen geprügelt hatte, die sie als "Blackie" verspottet
hatten.
Der Vater aber wusste sofort, was passiert war: Sandras
Lehrer hatte seine Schülerin als "Person mit gemischtem Blut einer
weißen Person und eines Bantu" beschrieben. Sie wurde offiziell als
"coloured" eingestuft, fortan war der Besuch der für Weiße reservierten
Schule unmöglich. Genau wie der des Kinos, in das sie so gerne mit ihren
Eltern gegangen war.
Zwei Jahre kämpfte sich Abraham Laing durch die
Gerichtsinstanzen. Für eine bessere Ausbildung der Tochter, für ein
besseres Leben. Und irgendwie auch für sich. 1967 änderten sich die
Gesetze tatsächlich. Nun war die Abstammung, und nicht länger das
Aussehen für die Klassifizierung entscheidend. Sandra galt wieder als
Weiße, nachdem Tests bewiesen hatten, dass Abraham wirklich ihr Vater
war.
Er hatte, so Laing, wohl insgeheim daran gezweifelt. Sie
geriet zum Spielball einer unmenschlichen Weltanschauung – und verliert
dennoch kein böses Wort über ihn, der sie so stur verfochten hatte: "Er
wollte das Beste für mich, er hat mich sehr geliebt." In ihrem
Wohnzimmer hängen mehrere Schwarzweiß-Fotos. Der Vater versucht ein
Lächeln, die kleine Tochter strahlt.
Beim Grab des Vaters
Das Grab liegt nur wenige Meter vom Haupteingang entfernt.
Am 30. Mai 1988 ist er gestorben, sagt die kurze Inschrift, das Ende der
Apartheid hat Abraham nie erlebt. In die umliegenden Grabsteine sind
Namen wie Ansie Roux oder Albert Coetser eingeritzt. Auch der Friedhof
war damals der weißen Minderheit reserviert.
Seit ihrem 15. Lebensjahr, hatte sie ihn nicht mehr gesehen.
Dem Jahr 1970, als sie Petrus Zwane kennen und lieben lernte, den
charmanten Gemüselieferanten für den Laden der Eltern. Auf dem Papier
war sie Weiße, aber was ist schon in so einem Fall schon Papier? "Ich
habe mich mit Schwarzen immer wohler gefühlt", sagt Laing, "das ist bis
heute so geblieben."
Doch der Vater hatte ihr jeden Kontakt mit schwarzen Jungs
strikt verboten. Er wütete, als er von der Beziehung erfuhr. "Er hat
seine Einstellung gegenüber schwarzen Menschen nie verändert, trotz
meiner Probleme. Ich konnte nicht bleiben – ich habe gedacht, dass er
mich nicht mehr liebt." Laing brach die Schule ab, sie folgte Petrus
nach Swasiland.
Die Familie bricht den Kontakt ab
Abraham zeigte den Mann wegen sexuellem Missbrauch an, auch
Laing saß wegen falscher Papiere zwei Monate im Gefängnis. Als der Vater
realisierte, dass er die Kontrolle über seine Tochter verloren hatte,
verbot er dem Rest der Familie jeden Kontakt mit ihr. In seiner Welt
hatte sie sich entschieden. Gegen das System. Und gegen ihn.
Er merkte nichts davon, welch schwere Zeit Sandra erlebte.
Vielleicht ahnte er es, vielleicht litt er an dem Gedanken. Mit Petrus
eröffnete die Tochter nach einigen Jahren einen kleinen Laden im Osten
Südafrikas, in einer Kleinstadt namens Kromkrans. Heimlich reiste sie
einige Male zur Mutter, um die beiden Enkelkinder vorzustellen. "Es war
gefährlich", erzählt sie, "Mutter sagte, mein Vater würde mich
umbringen, wenn er mich sieht." Dazu kam es nie: Die Eltern zogen nach
Pretoria, der Kontakt brach ab.
Ein grauer, glänzender Marmorstein bedeckt das Grab. Die
Sonne hat das Gestein etwas angewärmt, die Tochter stützt sich mit den
Händen auf die Platte. Zu Hause hatte sie geweint, als sie vom Vater
erzählte. Nun ist das Gesicht wieder starr, manchmal scheint es, als
verstecke sie schützend alle Gefühle tief in sich, als könnten auch die
genommen werden. Sie kniet einfach. Allein mit ihren Gedanken.
Manchmal ist es da – dieses Gefühl, sich bei ihrem Vater
entschuldigen zu müssen. "Er hat versucht, mir ein gutes Leben zu
geben." Sie bereut es nicht, damals gegangen zu sein, sich ihre Freunde
selbst ausgesucht zu haben. Und dennoch bleiben die Vorwürfe, ihre
eigenen.
Sie hätte ihn vor seinem Tod noch einmal treffen, ihm seine
Enkelkinder zeigen müssen. Doch der Cousin, der ihr 1991 zögernd von
Abrahams Tod erzählt hatte, wollte damals nicht einmal verraten, wo ihr
Vater drei Jahre zuvor begraben worden war.
Schwere Zeiten
Sandra blickt auf den Grabstein. Als ihr Viertel in
Kromkrans zur weißen Gegend erklärt wurde, scheiterte das Geschäft von
Petrus. Er begann zu trinken und zu schlagen. Sie verließ ihn, zusammen
mit den Kindern, wusch Wäsche für Weiße, putzte, musste die Kinder sogar
eine Zeit lang an eine Pflegemutter geben. Sie spricht nicht oft über
ihre Probleme. Zu viele Jahre hat sich niemand dafür interessiert.
Sie würde Abraham gerne von den Höhen und Tiefen ihres
Lebens erzählen. Von Johannes Motloung, ihrer großen Liebe. Vielleicht
er ihn gemocht, auch wenn er schwarz ist, und sie mit ihm Zulu spricht.
Von den sieben Enkelkindern, mit deren Bildern eine Wand im Esszimmer
gespickt ist.
Es sind fröhliche Fotos, auf einem überkreuzen die Kinder
die Arme zum Symbol des Fußball-Vereins Orlando Pirates. Sie bewahrt
auch das Andenken an ihre weißen Verwandten – doch deren Fotos hängen
ein paar Meter weiter. Separat.
Sandra Laing muss noch immer kämpfen. Johannes Job wurde auf
zwei Tage pro Woche zusammengekürzt, er bringt umgerechnet nur 300 Euro
monatlich nach Hause. Zwei der fünf Söhne haben weder eine Arbeit noch
einen Schulabschluss.
Vor Jahren wurde eine Biografie über sie geschrieben, von
der Beteiligung am Erlös hat sie ein kleines Haus in Dalpark gekauft,
eine Gegend der unteren Mittelklasse am Ostrand von Johannesburg.
Vielleicht verdient sie etwas an einem Film, der aus dem Buch gemacht
wurde. "Skin" (Haut) ist vor einigen Wochen in englischen Kinos
angelaufen.
Doch ihr eigenes Leben hat Sandra Laing vor allzu großem
Optimismus immer wieder gewarnt. Ein südafrikanischer Journalist
recherchierte im Jahr 2000 das Altersheim der damals 80-jährigen Mutter
Sannie. Als er mit Sandra auftauchte und die Krankenschwester die
Tochter ankündigte, fragte die schwer kranke Frau: "Welche Tochter?"
Ihre Söhne hatten behauptet, Sandra sei gestorben.
Gerade noch rechtzeitig
Die Tochter erreichte die Mutter gerade noch rechtzeitig.
Ein paar Monate später starb sie, wieder erfuhr Sandra Laing erst nach
der Beerdigung davon. Ihre beiden Brüder verweigern bis heute jeden
Kontakt zu ihr, auch die Grabstätte wollen sie nicht verraten.
Sie meint auch ihre Familie, wenn sie sagt, dass wohl noch
mindestens 15 Jahre vergehen werden, bis Schwarz und Weiß wirklich
wieder normal miteinander umgehen werden können: "Es gibt Weiße, die
okay sind. Aber wenn ich mit Freundinnen in einem Restaurant sitze, dann
setzen sich viele Weiße immer noch möglichst weit von uns weg." 15
Jahre Demokratie: in diesem Land ist das eine sehr kurze Zeitspanne.
Zehn Minuten vergehen. Momente der Ruhe, erst dann erhebt
sich die Tochter vom Grab des Vaters. Der Cousin hatte zuletzt eine
Andeutung gemacht, dass die Mutter auf dem gleichen Friedhof begraben
sei. Laing geht zum Verwaltungshaus, ein kleiner Bau am anderen Ende des
Friedhofs.
Kurz zögert der Mann hinter dem Schreibtisch, dann schaut er
doch in seinen Unterlagen nach. Die Mutter sei in der gleichen
Grabfläche wie der Vater beigesetzt worden, sagt er schließlich. Es sei
allerdings keine neue Inschrift angeordnet worden.
Wieder versteckt Laing ihre Gefühle. Sie werde wohl ein
Messingschild anbringen, sagt sie leise. Draußen blendet die Sonne. Kurz
huscht ein Lächeln über ihr Gesicht.
Hier ist der Trailer zum Film:
Hier ist der Trailer zum Film:
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