Montag, 2. Juli 2012

Skin - in schwarzer Haut

Diese Geschichte von Sandra Laing zeigt ziemlich deutlich, was wir hier durch unsere Interviews gelernt haben und vor allem wie absurd das ganze Apartheid-Regime war!

http://www.welt.de/vermischtes/article4809812/Als-schwarzes-Kind-weisser-Eltern-geboren.html

Als schwarzes Kind weißer Eltern geboren

Sandra Laing wurde 1955 als schwarzes Kind weißer Eltern geboren – inmitten der südafrikanischen Apartheid. Über Generationen hatte das genetische Material geschlummert. Ihre Eltern waren Verfechter der Apartheid-Politik. Sie wurde verstoßen, als sie sich in einen Schwarzen verliebte. 
Von Christian Putsch
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© Christian Putsch
Still sitzt sie da, die ganze Fahrt schon. In der Hand ein paar Blumen für das Grab des Vaters. Der Blick hinaus aus dem Autofenster gerichtet – aber an den von Mauern abgeschirmten Wohnanlagen und Leuchtreklamen bleibt er nicht hängen.
Bilder des modernen Südafrikas, das der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 entgegen lebt, so weit entfernt von den Zeiten der Apartheid. Sandra Laing wirkt in dieser Welt seltsam entrückt, sie ist ihrer Vergangenheit bis heute nicht entkommen. Bis es so weit ist, wird ein Teil von ihr dort bleiben.
Seit dem 30. September 1988 ist ihr Vater nun tot. Erst zum vierten Mal fährt sie die 70 Kilometer von Johannesburg nach Pretoria zum Grab jenes Mannes, der sie geliebt hat, trotz ihrer Hautfarbe. Und der sie, so fürchtet Sandra, auch gehasst hat. Wegen ihrer Hautfarbe. Abraham Laing war ein überzeugter Verfechter der Apartheid-Politik, er und seine Frau Sannie waren engagierte, ja erzkonservative Mitglieder der rassistischen Nationalist Party.
Die Vorfahren waren weiß wie das Paar, natürlich, auch ihr erster Sohn Leon.
Doch die Hautfarbe von Sandra, die 1955 als zweites Kind geboren wurde, war schwarz – sie erbte die Hautfarbe eines unbekannten Vorfahrens. Über Generationen hatte das genetische Material geschlummert und sich schließlich seinen Weg gebahnt. Nach den Mendelschen Regeln, lehrt die Wissenschaft, ist so etwas äußerst unwahrscheinlich. Aber möglich. Und nur wenige Menschen bekamen den Irrsinn der Apartheid härter zu spüren als diese Frau, deren Blick scheu geworden ist. Die Nachwirkungen halten bis heute an – in einem Land, in dem trotz aller Erfolgsgeschichten Schwarz und Weiß vielerorts nach wie vor separiert voneinander leben.
Sandra Laing steigt aus dem Auto. Ein Donnerstagvormittag, einsam liegt der Heatherdale Friedhof am Stadtrand Pretorias. Stille, fast. Sanft bahnt sich der Wind seinen Weg zwischen den engen Gräbern, ein paar Blätter in den Bäumen rascheln. Laing geht die Reihen entlang, langsam, schwerfällig, als habe sich die Last der anstehenden Begegnung auf sie gelegt.
Ihr Vater hatte stur für sein striktes Weltbild gekämpft. Er habe sie immer "sein kleines weißes Mädchen" genannt, hatte Laing erzählt. Irgendwo im Niemandsland der östlichen Transvaal, nahe Swasiland, betrieben die Laings einen Gemischtwarenladen. Wütend beobachtete das Familienoberhaupt, wie die Tochter nur mit schwarzen Kindern spielte. Die Mutter versuchte, Sandras krause Haare zu glätten. In der Schule war sie das einzige schwarze Kind. Und Sandra spürte den Wunsch der Eltern. Einmal musste sie mit schweren Verbrennungen am Arm ärztlich behandelt werden. Das Mädchen hatte sich Bleichmittel auf die Haut geträufelt.
Als sie, gerade zehn Jahre alt, von zwei Polizisten in der Schule abgeholt wurde, hatte Laing keine Ahnung, was sie falsch gemacht hatte. Sie dachte, es läge vielleicht daran, dass sie sich mit Mitschülerinnen geprügelt hatte, die sie als "Blackie" verspottet hatten.
Der Vater aber wusste sofort, was passiert war: Sandras Lehrer hatte seine Schülerin als "Person mit gemischtem Blut einer weißen Person und eines Bantu" beschrieben. Sie wurde offiziell als "coloured" eingestuft, fortan war der Besuch der für Weiße reservierten Schule unmöglich. Genau wie der des Kinos, in das sie so gerne mit ihren Eltern gegangen war.
Zwei Jahre kämpfte sich Abraham Laing durch die Gerichtsinstanzen. Für eine bessere Ausbildung der Tochter, für ein besseres Leben. Und irgendwie auch für sich. 1967 änderten sich die Gesetze tatsächlich. Nun war die Abstammung, und nicht länger das Aussehen für die Klassifizierung entscheidend. Sandra galt wieder als Weiße, nachdem Tests bewiesen hatten, dass Abraham wirklich ihr Vater war.
Er hatte, so Laing, wohl insgeheim daran gezweifelt. Sie geriet zum Spielball einer unmenschlichen Weltanschauung – und verliert dennoch kein böses Wort über ihn, der sie so stur verfochten hatte: "Er wollte das Beste für mich, er hat mich sehr geliebt." In ihrem Wohnzimmer hängen mehrere Schwarzweiß-Fotos. Der Vater versucht ein Lächeln, die kleine Tochter strahlt.

Beim Grab des Vaters

Das Grab liegt nur wenige Meter vom Haupteingang entfernt. Am 30. Mai 1988 ist er gestorben, sagt die kurze Inschrift, das Ende der Apartheid hat Abraham nie erlebt. In die umliegenden Grabsteine sind Namen wie Ansie Roux oder Albert Coetser eingeritzt. Auch der Friedhof war damals der weißen Minderheit reserviert.
Seit ihrem 15. Lebensjahr, hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Dem Jahr 1970, als sie Petrus Zwane kennen und lieben lernte, den charmanten Gemüselieferanten für den Laden der Eltern. Auf dem Papier war sie Weiße, aber was ist schon in so einem Fall schon Papier? "Ich habe mich mit Schwarzen immer wohler gefühlt", sagt Laing, "das ist bis heute so geblieben."
Doch der Vater hatte ihr jeden Kontakt mit schwarzen Jungs strikt verboten. Er wütete, als er von der Beziehung erfuhr. "Er hat seine Einstellung gegenüber schwarzen Menschen nie verändert, trotz meiner Probleme. Ich konnte nicht bleiben – ich habe gedacht, dass er mich nicht mehr liebt." Laing brach die Schule ab, sie folgte Petrus nach Swasiland.

Die Familie bricht den Kontakt ab

Abraham zeigte den Mann wegen sexuellem Missbrauch an, auch Laing saß wegen falscher Papiere zwei Monate im Gefängnis. Als der Vater realisierte, dass er die Kontrolle über seine Tochter verloren hatte, verbot er dem Rest der Familie jeden Kontakt mit ihr. In seiner Welt hatte sie sich entschieden. Gegen das System. Und gegen ihn.
Er merkte nichts davon, welch schwere Zeit Sandra erlebte. Vielleicht ahnte er es, vielleicht litt er an dem Gedanken. Mit Petrus eröffnete die Tochter nach einigen Jahren einen kleinen Laden im Osten Südafrikas, in einer Kleinstadt namens Kromkrans. Heimlich reiste sie einige Male zur Mutter, um die beiden Enkelkinder vorzustellen. "Es war gefährlich", erzählt sie, "Mutter sagte, mein Vater würde mich umbringen, wenn er mich sieht." Dazu kam es nie: Die Eltern zogen nach Pretoria, der Kontakt brach ab.
Ein grauer, glänzender Marmorstein bedeckt das Grab. Die Sonne hat das Gestein etwas angewärmt, die Tochter stützt sich mit den Händen auf die Platte. Zu Hause hatte sie geweint, als sie vom Vater erzählte. Nun ist das Gesicht wieder starr, manchmal scheint es, als verstecke sie schützend alle Gefühle tief in sich, als könnten auch die genommen werden. Sie kniet einfach. Allein mit ihren Gedanken.
Manchmal ist es da – dieses Gefühl, sich bei ihrem Vater entschuldigen zu müssen. "Er hat versucht, mir ein gutes Leben zu geben." Sie bereut es nicht, damals gegangen zu sein, sich ihre Freunde selbst ausgesucht zu haben. Und dennoch bleiben die Vorwürfe, ihre eigenen.
Sie hätte ihn vor seinem Tod noch einmal treffen, ihm seine Enkelkinder zeigen müssen. Doch der Cousin, der ihr 1991 zögernd von Abrahams Tod erzählt hatte, wollte damals nicht einmal verraten, wo ihr Vater drei Jahre zuvor begraben worden war.

Schwere Zeiten

Sandra blickt auf den Grabstein. Als ihr Viertel in Kromkrans zur weißen Gegend erklärt wurde, scheiterte das Geschäft von Petrus. Er begann zu trinken und zu schlagen. Sie verließ ihn, zusammen mit den Kindern, wusch Wäsche für Weiße, putzte, musste die Kinder sogar eine Zeit lang an eine Pflegemutter geben. Sie spricht nicht oft über ihre Probleme. Zu viele Jahre hat sich niemand dafür interessiert.
Sie würde Abraham gerne von den Höhen und Tiefen ihres Lebens erzählen. Von Johannes Motloung, ihrer großen Liebe. Vielleicht er ihn gemocht, auch wenn er schwarz ist, und sie mit ihm Zulu spricht. Von den sieben Enkelkindern, mit deren Bildern eine Wand im Esszimmer gespickt ist.
Es sind fröhliche Fotos, auf einem überkreuzen die Kinder die Arme zum Symbol des Fußball-Vereins Orlando Pirates. Sie bewahrt auch das Andenken an ihre weißen Verwandten – doch deren Fotos hängen ein paar Meter weiter. Separat.
Sandra Laing muss noch immer kämpfen. Johannes Job wurde auf zwei Tage pro Woche zusammengekürzt, er bringt umgerechnet nur 300 Euro monatlich nach Hause. Zwei der fünf Söhne haben weder eine Arbeit noch einen Schulabschluss.
Vor Jahren wurde eine Biografie über sie geschrieben, von der Beteiligung am Erlös hat sie ein kleines Haus in Dalpark gekauft, eine Gegend der unteren Mittelklasse am Ostrand von Johannesburg. Vielleicht verdient sie etwas an einem Film, der aus dem Buch gemacht wurde. "Skin" (Haut) ist vor einigen Wochen in englischen Kinos angelaufen.
Doch ihr eigenes Leben hat Sandra Laing vor allzu großem Optimismus immer wieder gewarnt. Ein südafrikanischer Journalist recherchierte im Jahr 2000 das Altersheim der damals 80-jährigen Mutter Sannie. Als er mit Sandra auftauchte und die Krankenschwester die Tochter ankündigte, fragte die schwer kranke Frau: "Welche Tochter?" Ihre Söhne hatten behauptet, Sandra sei gestorben.

Gerade noch rechtzeitig

Die Tochter erreichte die Mutter gerade noch rechtzeitig. Ein paar Monate später starb sie, wieder erfuhr Sandra Laing erst nach der Beerdigung davon. Ihre beiden Brüder verweigern bis heute jeden Kontakt zu ihr, auch die Grabstätte wollen sie nicht verraten.
Sie meint auch ihre Familie, wenn sie sagt, dass wohl noch mindestens 15 Jahre vergehen werden, bis Schwarz und Weiß wirklich wieder normal miteinander umgehen werden können: "Es gibt Weiße, die okay sind. Aber wenn ich mit Freundinnen in einem Restaurant sitze, dann setzen sich viele Weiße immer noch möglichst weit von uns weg." 15 Jahre Demokratie: in diesem Land ist das eine sehr kurze Zeitspanne.
Zehn Minuten vergehen. Momente der Ruhe, erst dann erhebt sich die Tochter vom Grab des Vaters. Der Cousin hatte zuletzt eine Andeutung gemacht, dass die Mutter auf dem gleichen Friedhof begraben sei. Laing geht zum Verwaltungshaus, ein kleiner Bau am anderen Ende des Friedhofs.
Kurz zögert der Mann hinter dem Schreibtisch, dann schaut er doch in seinen Unterlagen nach. Die Mutter sei in der gleichen Grabfläche wie der Vater beigesetzt worden, sagt er schließlich. Es sei allerdings keine neue Inschrift angeordnet worden.
Wieder versteckt Laing ihre Gefühle. Sie werde wohl ein Messingschild anbringen, sagt sie leise. Draußen blendet die Sonne. Kurz huscht ein Lächeln über ihr Gesicht.

Hier ist der Trailer zum Film:

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